Ist Gendern wirklich so unbeliebt? Zur Umfrage von Infratest dimap / Welt am Sonntag

„Zwei Drittel der Deutschen lehnen die Gendersprache ab“ (welt.de), „Die Bürger wollen keine Gendersprache“ (faz.net), „Umfrage: Gendern wird mehrheitlich abgelehnt“ (br.de)

Seit Ende Mai wird eine Umfrage von infratest dimap zur Akzeptanz von gendergerechter Sprache in vielen Medien zitiert. In den Medienberichten ist zu lesen, dass die Mehrheit der Deutschen gendergerechte Sprache ablehnt, „sogar“ jede zweite Frau. „Selbst bei den Anhängern der Grünen“ sei ca. die Hälfte gegen diese „Gendersprache“.

Wir waren überrascht von den Ergebnissen, weil sie sich nicht mit unseren Erfahrungen decken. Deshalb haben wir uns die Umfrage einmal näher angesehen.

Infratest dimap stellt die Umfrage und das Ergebnis hier vor.

Ein paar Gedanken:

  • Eine Meinungsumfrage ist keine differenzierte wissenschaftliche Studie, viel mehr versucht sie ein aktuelles Stimmungsbild zu einem Thema einzufangen. Eine differenzierte Analyse über die Akzeptanz von gendergerechter Sprache lässt sich daraus nur bedingt ableiten. Diese Meinungsumfrage wurde von der Welt am Sonntag (Axel Springer SE) in Auftrag gegeben.
  • Die gestellte Frage des Umfrageinstituts ist in sich sachlich falsch. Sie lautete: „Nun eine Frage zu einer geschlechterneutralen Sprache, also der sogenannten Gendersprache. Dafür wird beispielsweise beim sogenannte ‚Binnen-I‘ nicht von Wählerinnen und Wählern, sondern in einem Wort von ‚WählerInnen‘ gesprochen, d.h. mit kurzer Pause vor dem ‚i‘. Außerdem werden beispielsweise aus den Zuhörern die Zuhörenden. Wie stehen Sie zur Nutzung einer solchen Gendersprache in Presse, Radio und Fernsehen sowie bei öffentlichen Anlässen? Befürworten Sie dies voll und ganz, eher, lehnen Sie dies eher ab oder voll und ganz ab?“
    1. Genderneutrale Sprache wird als sogenannte „Gendersprache“ bezeichnet. Diesen Begriff lesen wir in letzter Zeit häufig im Zusammenhang mit ablehnender Haltung zu gendergerechter Sprache. Er wird meistens abwertend verwendet und suggeriert etwas Trennendes: dass gendergerechte Sprache eine andere Sprache als die allgemeine (deutsche) Sprache ist.
    2. Das Binnen-I ist eine gendergerechte Schreibweise, die eher selten vorkommt und die viele Menschen vermutlich nicht kennen. Es hat momentan wenig Relevanz in der Umsetzung von gendergerechter Sprache. Das Binnen-I als Randerscheinung eignet sich daher nicht als Beispiel für gendergerechte Sprache.
    3. Das Binnen-I wird nicht mit einer Pause gesprochen, sondern wie das generische Femininum.
    4. Die gendergerechte Schreibweise Binnen-I „WählerInnen“ wird der normalen Schreibweise „Wählerinnen und Wähler“ entgegengesetzt. Dabei ist „Wählerinnen und Wähler“ selbst eine gendergerechte Schreibweise.

Unsere Vermutungen, wie die Umfrage anders ausgefallen wäre:

  • …wenn das Gendersternchen als beispielhafte gendergerechte Schreibweise genannt worden wäre. Es wird momentan von einigen Städten, Institutionen und Medien benutzt und ist deshalb in der Gesellschaft bekannter als das Binnen-I.
  • …wenn erklärt worden wäre, dass auch die Doppelform („Wählerinnen und Wähler“) eine gendergerechte Schreibweise ist.
  • …wenn statt Zuhörende das Wort „Publikum“ oder ein anderes Beispiel („Studenten“ -> „Studierende“) gewählt worden wäre.
  • …und natürlich, wenn es viel mehr differenzierte Fragen gegeben hätte, die ein genaueres Gesamtbild ermöglichen. (z.B. „Ist es Ihnen wichtig, so zu sprechen, dass sich Menschen aller Geschlechter angesprochen fühlen?, „Wie relevant ist das Thema gendergerechte Sprache für Sie?“, „In welchen Bereichen sollte gendergerechte Sprache umgesetzt werden und wo nicht?“, …)

Um die hitzige Debatte um gendergerechte Sprache auf die Basis von Fakten zurückzuholen, braucht es dringend differenzierte, unabhängige wissenschaftliche Studien. z.B. Studien zur Akzeptanz bzw. Ablehnung von gendergerechter Sprache, sowohl im passiven Lesen als auch im aktiven Schreiben und Sprechen oder Studien zur Beliebtheit oder Unbeliebtheit der verschiedenen Möglichkeiten gendergerechter Sprache.